Oha, ein Thema wo viele von uns sich wohl ziemlich als die Nerds outen werden, die wir sind. Kiam war da bisher ja so die Stimme der Vernunft hier, wenn man da sein als Berufskoch sehr pragmatischen Ansatz sich anschaut.
Wenn ich das ganz nüchtern betrachte, gibt es ja in der Kaufberatung die Grundregel mit den drei Messern und dem Sparschäler. Wobei ich zu der 3 Messer Theorie anmerken würde, dass das eigentlich nur mit einem hinreichend robusten Kochmesser funktioniert, außer man hat eine sehr eigene Art zu kochen. Denn einer Kombination aus Takamura R2, Kneipchen und Brotmesser sind was die Robustheit und somit gewisse Schnittgüter und Techniken angeht schon gewisse Grenzen gesetzt.
Und letztendlich ist die Übung deutlich wichtiger, als für jedes Spezialgebiet als Hobbykoch das zugehörige Spezialmesser im Block oder an der Magnetleiste zu haben. Wer im Schnitt zweimal im Monat nen ganzen Lachs kauft und verarbeitet, ist da mit einem Kochmesser deutlich schneller, als jemand der zwei westliche Filetiermesser verschiedener Größen, eine Deba und ein Sujihiki an der Magnetleiste hängen hat, aber nur zu Weihnachten mal einen ganzen Fisch kauft und zerlegt. Dazu später aber mehr.
Früher war viel Neugier, viel Experiment, große Findungsphase, und vor allem Dingen eine gehörige Überschätzung der Kochgewohnheiten, bzw. inwiefern die sich über Messerkäufe steuern lassen, mit im Spiel. Den einen oder anderen Trend und Schmied-Hype ist man da mitgegangen, den man dann mitunter im Rückblick unter der Kategorie Lehrgeld verbuchen mußte.
Ganz am Anfang war rostfrei beispielsweise völlig tabu, die Einstellung hat sich mit dem Kauf meines ersten Ashi-Petty aus Schwedenstahl erledigt gehabt. Mittlerweile dominiert „Swedish Stainless“ in meiner Sammlung und Karbon-Eisenflanken ist bei mir nach diversen ernüchternden Erfahrungen keine Option mehr. Gegen Karbon-Monostahl Messer hab ich aber nichts, wobei mich da mittlerweile die europäischen Stähle mehr reizen als das was aus Japan kommt. Ob Yo oder Wa Griff ist mir jetzt auch nicht mehr so wichtig, wie früher es einmal gewesen ist. Oder anders ausgedrückt, wenn ich bei und derselbe Klinge wie Wahl habe zwischen einer Version mit westlichem und einer mit achteckigem Holzgriff, werde ich wohl immer letzteres wählen. Wenn jetzt aber eine Messer von der Klinge her wie die Faust aufs Auge in mein Beuteschema passen würde, wäre ein 3-Nieten Griff jetzt kein K.O Kriterium mehr für mich.
Das man mit einem Honesuki und einer Western Deba in der Sammlung nicht mehr Hühnerschenkel auslöst und ganze Fische filetiert, habe ich auch mit der Zeit erst lernen/einsehen müssen. Ich kauf mir jetzt kein ganzes Huhn, nur um dann für Hühnerbrust an Pilzen, Rahmsauce und Klöße die Brust erst einmal auszulösen und den Rest des Fleisches portioniert einzufrieren, damit es dann irgendwann in einer Asiapfanne landet. Ähnliches Spiel bei Fisch und den geringen Platz im Gefrierfach "blockiere" ich dann lieber mit Dingen, von denen ich mehr habe und bei denen "schnell mal im Supermarkt kaufen" keine sinnvolle Alternative ist (z.B. Dashi-Fond ). Weswegen solche Spezialisten bei mir aussortiert werden und zu jenen Messern greife, die auch für den Job taugen und dazu noch universeller einsetzbar sind. Ein Petty ist eben bei Hühnerbrust nicht merklich schlechter als ein ein Honesuki, dafür kann man es aber auch als Ferienhausmesser oder morgens für den Obstsalat nutzen...
Ein Kochmesser-Mesi, der sich von nichts oder nur extrem schwer trennen kann, bin ich zum Glück nicht. Ich gehe aber auch nicht mit so einem radikalen "eins neu, ein altes weg" Ansatz wie Kiam zu Werke. Das wäre mir zu extrem, ich hab aber bei Serienmessern mittlerweile wenig Hemmungen mehr die zu verkaufen, wenn es da Überschneidungen im Nutzen gibt oder ich sie deutlich zu selten einsetze.
Ich würde also was die Frage nach den Kriterien angeht unterscheiden, zwischen denen, die mich zu einem Neukauf bewegen (bzw. mich dann doch davon abhalten, ein Messer zu kaufen), und jene Kriterien, die bestimmen ob ein Messer langfristig in meiner Sammlung bleibt oder nicht.
Beim Neukauf geht das in eine ähnliche Richtung wie bei Gabriel, sähe als Entscheidungslogik also folgend aus: Damit ein neues Messer von mir gekauft wird muß es...
a) mein Interesse wecken, wobei der Auslöser dafür mannigfaltig sein kann... Potentiell zu mir passendes Klingenprofil, der verwendete Stahl oder eine besondere Schliffform, wie beispielsweise eine Hohlkehle....
b) mir optisch gefallen, bzw. bei so Themen wie Hohlkehlen-Konzepten muß eine Balance zwischen Performance und optischem Erscheinungsbild gewahrt sein.
c) was Form und Länge so alltagstauglich sein, daß ich es hinreichend oft übers Jahr hinweg nutze...
d) potentiell einen hinreichend großen Performance-Sprung bieten, wenn es ein bestehendes Messer ersetzen soll
e) vom Kaufpreis her in einer gesunden Relation zur Nutzungshäufigkeit stehen
Die einzige Ausnahme würde ich bei Messern aus zweiter Hand machen, wo der Wertverlust bei einem weiteren Verkauf geringer ausfällt, und bei denen man Aspekte für eine anstehende Auftragsarbeit ausloten will und man nicht die Möglichkeit hat, dies über PAs zu realisieren.
Als aktuelles reeles Beispiel könnte ich das neulich erworbene Sakai Yusuke Gyuto mal nennen. Auch wenn ich diese 5 Punkte-Liste in exakt der Form noch nicht im Kopf hatte, läßt sich der Kauf auch rückwirkend damit schön erklären/begründen...
Das
Sakai Yusuke Gyuto erfüllt problemlos vier der fünf aufgestellten Kriterien, ob es mir einen Performance-Vorteil bringt ist noch zu klären. Dazu erlaubt es mir die vom Masamoto KS bekannte Klingeform zu testen und mit somit Klarheit zu verschaffen, ob mir beim geplanten Xerxes ein Messer aus seiner Kleinserie völlig reicht, oder ob ich in der Preisklasse nicht mit einem Full-Custom besser fahre und die Klingenform leicht auf meine Vorlieben abändern lasse. Und ob das besagte KS Profil was für mich ist, läßt sich mit einem eigenen Messer aus zweiter Hand erworben besser ausloten, als mit einem geliehenen Messer. Welches man dann eben nur für einen kurzen Zeitraum da hat und mit dem man auch im Zweifelsfall ganz anders umgeht.
Tja, und wenn meine Sammlung dann zu groß wird, oder ich das Gefühl bekomme das ein Messer wirklich selten zum Einsatz kommt, gehe ich dann mittlerweile folgend vor:
- Bei Messern gleicher Art (Gyuto, Petty, Suji, etc) und gleicher oder ähnlicher Länge, stelle ich mir die Frage ob ein Messer sich funktionell hinreichend von den anderen absetzt und sich so eine Nische schafft, in dem es keine oder wenig Konkurrenz hat. Und dann eben, ob diese Nische mir wichtig genug ist, an ihm festzuhalten.
- Bei Spezialmessern, frage ich mich wie häufig ich sie einsetze und ob sie mir meßbare Vorteile gegenüber einem ähnlich langen Allzweckmesser bieten.
Kann ich die Fragen für ein Messer nicht hinreichend bejahen, ist zu prüfen ob ich an dem Messer aus irgendwelchen nostalgischen Gründen hänge, oder ob das Messer in der Art nicht oder nur noch zu einem extrem erhöhten Preis wieder anzuschaffen sei, wenn ich befürchte ihm doch irgendwann mal nachzutrauern.
Und da ich ja in letzter Zeit mit dem Aussortieren angefangen habe, kann man auch hier wieder recht einfach praktische Beispiele für meine Vorgehensweise sich heraussuchen.
Ich hab beispielsweise deutlich zuviele Gyutos und bei einigen gibt es eine ziemlich eklatante Überschneidung bei Länge, Schneidverhalten auf dem Brett und dem Aspekt der Robustheit. Ich werde das jetzt nicht für jedes von denen einzeln aufdröseln, sondern nur drei davon als Beispiele nennen.
Mein 230er
Dalman Gyuto ist rein nach praktischen Gesichtspunkten kein 100% alltagstaugliches Messer, es deckt jetzt auch nicht zwingend eine Nische ab, die mir extrem wichtig ist. Es wird aber nicht verkauft, weil ich das Messer trotzdem mag und ich mit Sicherheit den Verkauf irgendwann bereuen würde. Und da es kein Messer von der Stange ist (Wartezeit bei Robin liegt glaube ich aktuell bei mehr als 6 Monaten) und die Preise seit dem Kauf massiv nach oben gegangen sind, wäre es einfach dämlich es zu verkaufen. Selbst wenn es übers Jahr betrachtet am Ende das Gyuto ist, mit dem ich am wenigsten koche...
Mein 270er
Konosuke Wa-Kiritsuke ist zwar innerhalb meiner Sammlung durch seine Form schon irgendwie ein Unikat und wenn ich mich nicht irre wird es auch nicht mehr hergestellt, wäre also nur noch aus zweiter Hand wieder neu zu erwerben. Trotzdem wird es mich auf kurz oder lang wohl verlassen, weil ich eben bei der Klingenlänge mehr Wert auf den Wiegeschnitt lege (da also mein Tanaka die Nase vorn hat) und auch wenn ich es von Konosuke wohl nicht mehr kriegen würde, gibt es auch andere gute Anbieter dieser Messerform wie z.B. Ashi (über den Schweizer Händler).
Mein
Kohetsu AS war zwar mein erstes Gyuto und mein erster Japaner, aber funktionell überschneidet es sich zu sehr mit den anderen Gyutos und löst bei mir eben keine nostalgischen Gefühle aus. Die würde ich bei einem Serienmesser wohl auch nur dann haben, wenn es ein Erbstück oder Geschenk von einer einem wichtigen Person wäre. Hätte ich hier ein olles Solinger Messer von Oma rumliegen, würde ich mich eben rein aus nostalgischen Gründen wohl nicht von trennen wollen. Gleiches würde für das Finnenmesser gelten, was mein Vater mir damals geschenkt hatte, als ich als kleiner Bub bei den Pfadfindern eingetreten bin... Betonung liegt jeweils auf würde, denn bei der Haushaltsauflösung meiner Oma nach ihrem Tod haben wir von der Küchenausstattung fast nichts (auf jeden Fall keine Messer) behalten, und besagtes Finnenmesser hab ich irgendwann mal verloren.