Ein paar Gedanken rund um ein Custom Kochmesser
Feb 27, 2021 13:22:43 GMT
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Post by severus on Feb 27, 2021 13:22:43 GMT
Moin,
was dem Banker recht ist, sollte dem Messermacher billig sein! Warum sollen innovative Konzepte wie Derivate nur obskuren Finanzprodukten vorbehalten sein? Das muss sich ändern!
Daher bekam ich Weihnachten 2019 von meinem Sohn simon ein Messer-Derivat. Genauer: Ein Optionszertifikat für das Recht auf einen Custom-Slot zum Fälligkeitstermin „Dein nächster Geburtstag“. Oder ein Recht auf ein halbes Messer bzw. doch eher ein halbes Recht auf ein Messer? Wie auch immer. Ich freute mich auf ein maßgeschneidertes Messer!
Prolog
Die letzten eineinhalb Jahre habe ich als Hauptmesser das folgende Messer verwendet:
Dieses Messer ist ein Prototyp, den Simon im Vorfeld seines PA kochmalscharf.freeforums.net/post/118628/thread angefertigt hatte. Er hat damals zwei Rohlinge zum Testen des Konzepts und zum Einüben des Schliffs gemacht. Den ersten Prototyp bekam ich mit der Ansage „Testen!“ aufs Brett gelegt. Nachdem dieser sich einige Wochen bewährt hatte, machte er den zweiten Prototyp fertig (der mittlerweile seine Heimat bei einem Forenmitglied gefunden hat) und danach dann das eigentliche PA-Messer, das ja allgemein guten Anklang fand kochmalscharf.freeforums.net/post/122291/thread.
Nachdem der Test abgeschlossen war, steckte das Messer weiter im Block. Und in den nächsten Wochen stellte ich fest: Immer, wenn ich in der Küche einfach nur was weggearbeitet habe, ohne groß über das geeignete Messer nachzudenken, hatte ich dieses Messer in der Hand. Es war einfach ein angenehmes, unkompliziertes Allround-Messer für fast alle Arbeiten. Klar, für den Kürbis kam weiter ein großes Workhorse zum Einsatz und manchmal (selten) griff ich ganz bewusst zu einem Laser. Aber die überwiegende Mehrzahl aller Arbeiten machte ich damit.
Mir ist dabei einiges über die Eigenschaften von Messern klar geworden und über meine persönlichen Prioritäten für deren Eigenschaften. So ist das Messer aus einem sehr einfachen Stahl. Es handelt sich um 1.2003, ein sehr niedrig legierter Kohlenstoffstahl. Dieser Stahl hat Eigenschaften, die ihn für einen Prototyp gut geeignet machen: er ist preiswert, leicht zu bekommen, leicht zu schleifen und einfach zu härten. Dennoch gibt er einen geeigneten Messerstahl ab, so dass die daraus gefertigten Messer nicht „für die Tonne“ sind.
Die Gebrauchseigenschaften des Stahls in der Benutzung konnte ich, auch im Vergleich zu einer Palette diverser anderer Stähle bei meinen verschiedenen Messern, gut feststellen. So ist 1.2003 anfänglich stark reaktiv. Die erste Zwiebel stank wie die Pest. Mit der Benutzung bildete der Stahl jedoch schnell eine stabile Patina aus und dies gab sich. Nach wenigen Wochen war das Messer uneingeschränkt benutzbar, muss aber natürlich, wie bei anderen Kohlenstoffstählen auch, nach der Benutzung sauber- und trockengewischt werden. Ein eingefahrenes Messer unterscheidet sich in der Reaktivität nicht mehr wesentlich von Klingen aus beispielsweise 1.2510, 1.2519 oder 1.2562.
1.2003 ( hier gehärtet auf ca. HRC 60) hat keine hohe Schnitthaltigkeit, lässt sich aber hervorragend wetzen. So habe ich das Messer regelmäßig kurz über den Dick Microfeinzug gezogen und damit immer gut auf hoher Schärfe halten können. Ich stellte dabei fest: ob ich ein Messer nun einmal oder dreimal pro Woche kurz über den Stahl ziehen muss, oder auch nur einmal im Monat, ist mir eigentlich völlig egal!
Ich habe das Messer in den knapp zwei Jahren der Benutzung als Hauptmesser zwei Mal auf Banksteinen nachgeschärft. Das erste Mal war das Messer zwar noch nicht stumpf, aber ich hatte nach einem knappen Jahr den Eindruck, dass so langsam der Punkt erreicht ist, wo drei-, viermal Wetzen nicht mehr reicht und ich die Zahl der Züge erhöhen muss. Das zweite Mal war dieser Punkt noch nicht erreicht, aber ich habe das Messer mitgeschärft, als ich eh ein paar andere Klingen geschärft habe.
Für mich persönlich kann ich insgesamt feststellen: bei einem gut wetzbaren Stahl ist für mich die Schnitthaltigkeit eigentlich irrelevant. Eigenschaften, die mir dagegen viel zählen, sind die Geometrie, das Profil und die Ausgewogenheit des Messers. Diese waren letztlich entscheidend dafür, dass ich das Messer so viel benutzt habe. Seine Ausgewogenheit lässt es gut in der Hand liegen. Das Profil unterstützt problemlos alle meine Schnitttechniken und sehr viele Anwendungen. Die Geometrie bietet einen guten Kompromiss aus Leichtigkeit des Schnitts und Robustheit. Das Messer erlaubt eine sorglose Anwendung, macht aber dennoch Spaß durch leichten Schnitt.
Food Release ist für mich eher ein Nebenaspekt, aber keine zentrale Eigenschaft. Es ist schön, wenn ein Messer einen guten Foodrelease hat und ich bemerke es positiv. Es ist aber (in gewissen Grenzen) nicht entscheidend dafür, ob ich ein Messer gern benutze oder nicht. Die Ausnahme ist, wenn ein Messer durch ungeeignete Geometrie oder polierte Flanken wirklich „klebt“ und damit den Schnitt behindert. Solche Messer, auch von renommierten Machern, hatte ich bereits auf dem Brett und das macht dann keinen Spaß mehr. Dieses Messer hat einen leicht überdurchschnittlichen Food Release, ohne diesbezüglich in der Spitzengruppe zu spielen. Für mich völlig okay.
Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass die Stahldiskussion für Messer häufig überbewertet wird. Eigentlich ergeben die üblichen Werkzeugstähle, wenn sie ordentlich verarbeitet und gehärtet werden, auch ordentliche, gut brauchbare Messer. Es gibt zwar Unterschiede in den technischen Eigenschaften, die aber bei normalen, nicht extremen Geometrien und vernünftiger Benutzung für mich nur wenig ins Gewicht fallen. Der deutlichste Unterschied der Messerstähle (nach dem Korrosionsverhalten), die Schnitthaltigkeit, wurde mir zunehmend unwichtiger. Das Wichtigste an der Stahlfrage ist wohl, dass man als Freak hervorragend darüber fachsimpeln kann 😉.
Einige Dinge waren an dem Messer aber dennoch nicht optimal. Zum einen komme ich zwar mit nicht-rostfreien Klingen durchaus klar (die meisten Messer in meinem Block sind solche), aber eigentlich bevorzuge ich rostfreie.
Der zweite Punkt war der Griff. Simon hatte einen schlichten Griffblock aus Nussbaum ausgewählt und diesen mit Trueoil behandelt. Trueoil ist ein stark schichtbildendes Öl. Dies bedeutet, es bildet wie ein Lack eine transparente, leicht glänzende Schicht auf dem Holz. Diese Oberfläche betont die Farbe und den Kontrast des Holzes, schafft optische Tiefe. Leider aber verliert das Holz damit die Optik und Haptik von offenporigem Holz und wirkt eben „wie lackiert“. Ich mag eine matte Oberfläche eigentlich lieber. Außerdem hätte ich lieber ein schöneres, stärker gemasertes Holz.
Zudem ist die Oberfläche relativ empfindlich und nutzt sich schnell ab. Der Griff zeigt dann Kratzer und matte Stellen und sollte mit Trueoil nachgepflegt werden. Dies geht zwar einfach und problemlos, war mir aber immer zu viel Gewese. Außerdem war unser Trueoil nach knapp einem Jahr in der Flasche bereits abgebunden und nicht mehr benutzbar. Ich hätte also zum Nachpflegen eine neue (relativ teure) Flasche kaufen müssen. Insgesamt ist Simon nach diesen Erfahrungen von der Benutzung von Trueoil abgekommen.
Aus diesen Erfahrungen heraus war also die Grobspezifikation für das neue Messer klar: „Genauso wie dies, nur rostfrei und mit pflegeleichtem Griff!“.
Das neue Messer
Erst einmal ein paar Bilder:
So ganz genau gleich ist das Messer dann doch nicht geworden. In den Diskussionen mit Simon überzeugte er mich von einer etwa stärker hochgezogenen Spitze. Ich muss zugeben, dass seine Zeichnung der Klingenform optisch rassiger und schnittiger wirkte. Außerdem wollte ich dann doch noch einen cm mehr Klingenlänge. Wie beim Segeln gilt schließlich: „Länge läuft“, besonders im Wiegeschnitt.
Als Griffholz wählte ich einen Block, den ich vor vielen Jahren mal als Beigabe irgendwo mitgekauft habe. Es handelt sich um gestockte Birke. Im Rohzustand war der Block ziemlich unspektakulär. Nachdem Simon ihn stabilisiert hatte, sahen Farbe und Maserung schon erheblich besser aus. Bei der Griffherstellung lief dann alles optimal: der fertige Griff lag optimal im Block und zeigt von allen Seiten eine attraktive Maserung. Glück gehabt! Als Zwingenmaterial wählte ich schwarzes Micarta. Das sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch sehr robust und pflegeleicht und passt damit gut zum stabilisierten Holz. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit dem Griff.
Der Stahl ist der bewährte 14C28N in vier Millimeter Stärke, gehärtet auf ca. HRC 60. Aus meiner Sicht ist dieser Stahl ein nahezu idealer Stahl für ein Gebrauchsküchenmesser. Nicht zu teuer, gut wetzbar, ausgewogene Eigenschaften. Kein Superstahl, aber wirklich gut.
Durch die höhere Materialstärke, größere Länge und die schwereren Griffmaterialien ist das Messer dann doch merklich schwerer als seine Vorlage geworden. Wegen der ausgewogenen Gewichtsverteilung mit der stark getaperten Klinge fällt das bei der Handhabung nicht negativ auf. Im direkten Vergleich der beiden Messer hat man aber doch fühlbar mehr in der Hand und es ist einfach ein anderes Gefühl bei der Benutzung. Das eine Messer ist ein unauffälliges Werkzeug, das man einfach benutzt, ohne groß nachzudenken, eine Verlängerung der Hand. Das andere wirkt doch deutlich beeindruckender, hat mehr Zug zum Brett und vermittelt irgendwie „mehr Energie“. Schwer auszudrücken. Beide gut, aber anders.
Die Schneidfähigkeit der Klinge ist über jeden Zweifel erhaben. Ich bin immer wieder begeistert, wie leicht dieses in der Hand so robust wirkende Messer schneidet. Gegenüber der Vorlage muss ich feststellen: es wirkt robuster, vertrauenerweckender und hat einen noch besseren Food Release ohne Einbußen bei der Schneidfähigkeit. Von der Gesamtcharakteristik immer noch ein Allrounder und kein Workhorse, jedoch mit mehr Hubraum.
Fazit: Ein rundum gelungenes Allround-Messer. Ziel erreicht!
Epilog
„Und da er nun das perfekte Messer hatte, wurde seine Seele sanft und ruhig und er lebte fürderhin in Frieden.“ So war der Plan.
Kurz nach dem neuen Messer schwappte ein weiterer Prototyp aus dem Keller in die Küche. Diesmal hatte Simon eine neue Griffbefestigungstechnik ausprobiert. Bei der Griffmontage hatte das Holz zwei Risse gebildet, so klein, man muss sie kennen, um sie zu sehen. Keine funktionale Einschränkung, aber nichts mehr zum Verkaufen. Da ein kleines Kochmesser um 20cm derzeit in unserer Küche fehlte, baute Simon das Messer dennoch fertig und es landete im eigenen Block.
Nun stellte ich (erneut) fest, dass so eine kleine, leichte Klinge ja für das schnelle Aufschneiden einer einzelnen Birne oder eines Apfels zum morgendlichen Müsli schon merklich handlicher ist als ein 25-cm-Bolide. Auch eine einzelne Schalotte oder zwei Knoblauchzehen lassen sich hervorragend damit verarbeiten. Für solche Arbeiten braucht es keine lange Klinge mit hoher Spitze, Wiegeschnitt ist da eh nicht angesagt.
Und so teilt sich dieser Prototyp plötzlich die Brettzeit mit dem Wunsch-Custom, das für größere Mengen und größeres Schnittgut natürlich viel besser ist.
Ironie dabei: Das kleine Messer ist aus 1.2510, also nicht rostfrei, und hat einen Griff aus schlichtem unstabilisiertem Pflaumenholz.
Nachtrag
Simon experimentiert gerade mit dem Schliff von Hohlkehlen. Einige Klingenprototypen sind sehr gelungen. Vielleicht wird ja aus einem ein Messer für meinen Block ….
Hat denn das nie ein Ende? 😉
Viele Grüße
Severus
was dem Banker recht ist, sollte dem Messermacher billig sein! Warum sollen innovative Konzepte wie Derivate nur obskuren Finanzprodukten vorbehalten sein? Das muss sich ändern!
Daher bekam ich Weihnachten 2019 von meinem Sohn simon ein Messer-Derivat. Genauer: Ein Optionszertifikat für das Recht auf einen Custom-Slot zum Fälligkeitstermin „Dein nächster Geburtstag“. Oder ein Recht auf ein halbes Messer bzw. doch eher ein halbes Recht auf ein Messer? Wie auch immer. Ich freute mich auf ein maßgeschneidertes Messer!
Prolog
Die letzten eineinhalb Jahre habe ich als Hauptmesser das folgende Messer verwendet:
Dieses Messer ist ein Prototyp, den Simon im Vorfeld seines PA kochmalscharf.freeforums.net/post/118628/thread angefertigt hatte. Er hat damals zwei Rohlinge zum Testen des Konzepts und zum Einüben des Schliffs gemacht. Den ersten Prototyp bekam ich mit der Ansage „Testen!“ aufs Brett gelegt. Nachdem dieser sich einige Wochen bewährt hatte, machte er den zweiten Prototyp fertig (der mittlerweile seine Heimat bei einem Forenmitglied gefunden hat) und danach dann das eigentliche PA-Messer, das ja allgemein guten Anklang fand kochmalscharf.freeforums.net/post/122291/thread.
Nachdem der Test abgeschlossen war, steckte das Messer weiter im Block. Und in den nächsten Wochen stellte ich fest: Immer, wenn ich in der Küche einfach nur was weggearbeitet habe, ohne groß über das geeignete Messer nachzudenken, hatte ich dieses Messer in der Hand. Es war einfach ein angenehmes, unkompliziertes Allround-Messer für fast alle Arbeiten. Klar, für den Kürbis kam weiter ein großes Workhorse zum Einsatz und manchmal (selten) griff ich ganz bewusst zu einem Laser. Aber die überwiegende Mehrzahl aller Arbeiten machte ich damit.
Mir ist dabei einiges über die Eigenschaften von Messern klar geworden und über meine persönlichen Prioritäten für deren Eigenschaften. So ist das Messer aus einem sehr einfachen Stahl. Es handelt sich um 1.2003, ein sehr niedrig legierter Kohlenstoffstahl. Dieser Stahl hat Eigenschaften, die ihn für einen Prototyp gut geeignet machen: er ist preiswert, leicht zu bekommen, leicht zu schleifen und einfach zu härten. Dennoch gibt er einen geeigneten Messerstahl ab, so dass die daraus gefertigten Messer nicht „für die Tonne“ sind.
Die Gebrauchseigenschaften des Stahls in der Benutzung konnte ich, auch im Vergleich zu einer Palette diverser anderer Stähle bei meinen verschiedenen Messern, gut feststellen. So ist 1.2003 anfänglich stark reaktiv. Die erste Zwiebel stank wie die Pest. Mit der Benutzung bildete der Stahl jedoch schnell eine stabile Patina aus und dies gab sich. Nach wenigen Wochen war das Messer uneingeschränkt benutzbar, muss aber natürlich, wie bei anderen Kohlenstoffstählen auch, nach der Benutzung sauber- und trockengewischt werden. Ein eingefahrenes Messer unterscheidet sich in der Reaktivität nicht mehr wesentlich von Klingen aus beispielsweise 1.2510, 1.2519 oder 1.2562.
1.2003 ( hier gehärtet auf ca. HRC 60) hat keine hohe Schnitthaltigkeit, lässt sich aber hervorragend wetzen. So habe ich das Messer regelmäßig kurz über den Dick Microfeinzug gezogen und damit immer gut auf hoher Schärfe halten können. Ich stellte dabei fest: ob ich ein Messer nun einmal oder dreimal pro Woche kurz über den Stahl ziehen muss, oder auch nur einmal im Monat, ist mir eigentlich völlig egal!
Ich habe das Messer in den knapp zwei Jahren der Benutzung als Hauptmesser zwei Mal auf Banksteinen nachgeschärft. Das erste Mal war das Messer zwar noch nicht stumpf, aber ich hatte nach einem knappen Jahr den Eindruck, dass so langsam der Punkt erreicht ist, wo drei-, viermal Wetzen nicht mehr reicht und ich die Zahl der Züge erhöhen muss. Das zweite Mal war dieser Punkt noch nicht erreicht, aber ich habe das Messer mitgeschärft, als ich eh ein paar andere Klingen geschärft habe.
Für mich persönlich kann ich insgesamt feststellen: bei einem gut wetzbaren Stahl ist für mich die Schnitthaltigkeit eigentlich irrelevant. Eigenschaften, die mir dagegen viel zählen, sind die Geometrie, das Profil und die Ausgewogenheit des Messers. Diese waren letztlich entscheidend dafür, dass ich das Messer so viel benutzt habe. Seine Ausgewogenheit lässt es gut in der Hand liegen. Das Profil unterstützt problemlos alle meine Schnitttechniken und sehr viele Anwendungen. Die Geometrie bietet einen guten Kompromiss aus Leichtigkeit des Schnitts und Robustheit. Das Messer erlaubt eine sorglose Anwendung, macht aber dennoch Spaß durch leichten Schnitt.
Food Release ist für mich eher ein Nebenaspekt, aber keine zentrale Eigenschaft. Es ist schön, wenn ein Messer einen guten Foodrelease hat und ich bemerke es positiv. Es ist aber (in gewissen Grenzen) nicht entscheidend dafür, ob ich ein Messer gern benutze oder nicht. Die Ausnahme ist, wenn ein Messer durch ungeeignete Geometrie oder polierte Flanken wirklich „klebt“ und damit den Schnitt behindert. Solche Messer, auch von renommierten Machern, hatte ich bereits auf dem Brett und das macht dann keinen Spaß mehr. Dieses Messer hat einen leicht überdurchschnittlichen Food Release, ohne diesbezüglich in der Spitzengruppe zu spielen. Für mich völlig okay.
Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass die Stahldiskussion für Messer häufig überbewertet wird. Eigentlich ergeben die üblichen Werkzeugstähle, wenn sie ordentlich verarbeitet und gehärtet werden, auch ordentliche, gut brauchbare Messer. Es gibt zwar Unterschiede in den technischen Eigenschaften, die aber bei normalen, nicht extremen Geometrien und vernünftiger Benutzung für mich nur wenig ins Gewicht fallen. Der deutlichste Unterschied der Messerstähle (nach dem Korrosionsverhalten), die Schnitthaltigkeit, wurde mir zunehmend unwichtiger. Das Wichtigste an der Stahlfrage ist wohl, dass man als Freak hervorragend darüber fachsimpeln kann 😉.
Einige Dinge waren an dem Messer aber dennoch nicht optimal. Zum einen komme ich zwar mit nicht-rostfreien Klingen durchaus klar (die meisten Messer in meinem Block sind solche), aber eigentlich bevorzuge ich rostfreie.
Der zweite Punkt war der Griff. Simon hatte einen schlichten Griffblock aus Nussbaum ausgewählt und diesen mit Trueoil behandelt. Trueoil ist ein stark schichtbildendes Öl. Dies bedeutet, es bildet wie ein Lack eine transparente, leicht glänzende Schicht auf dem Holz. Diese Oberfläche betont die Farbe und den Kontrast des Holzes, schafft optische Tiefe. Leider aber verliert das Holz damit die Optik und Haptik von offenporigem Holz und wirkt eben „wie lackiert“. Ich mag eine matte Oberfläche eigentlich lieber. Außerdem hätte ich lieber ein schöneres, stärker gemasertes Holz.
Zudem ist die Oberfläche relativ empfindlich und nutzt sich schnell ab. Der Griff zeigt dann Kratzer und matte Stellen und sollte mit Trueoil nachgepflegt werden. Dies geht zwar einfach und problemlos, war mir aber immer zu viel Gewese. Außerdem war unser Trueoil nach knapp einem Jahr in der Flasche bereits abgebunden und nicht mehr benutzbar. Ich hätte also zum Nachpflegen eine neue (relativ teure) Flasche kaufen müssen. Insgesamt ist Simon nach diesen Erfahrungen von der Benutzung von Trueoil abgekommen.
Aus diesen Erfahrungen heraus war also die Grobspezifikation für das neue Messer klar: „Genauso wie dies, nur rostfrei und mit pflegeleichtem Griff!“.
Das neue Messer
Erst einmal ein paar Bilder:
So ganz genau gleich ist das Messer dann doch nicht geworden. In den Diskussionen mit Simon überzeugte er mich von einer etwa stärker hochgezogenen Spitze. Ich muss zugeben, dass seine Zeichnung der Klingenform optisch rassiger und schnittiger wirkte. Außerdem wollte ich dann doch noch einen cm mehr Klingenlänge. Wie beim Segeln gilt schließlich: „Länge läuft“, besonders im Wiegeschnitt.
Als Griffholz wählte ich einen Block, den ich vor vielen Jahren mal als Beigabe irgendwo mitgekauft habe. Es handelt sich um gestockte Birke. Im Rohzustand war der Block ziemlich unspektakulär. Nachdem Simon ihn stabilisiert hatte, sahen Farbe und Maserung schon erheblich besser aus. Bei der Griffherstellung lief dann alles optimal: der fertige Griff lag optimal im Block und zeigt von allen Seiten eine attraktive Maserung. Glück gehabt! Als Zwingenmaterial wählte ich schwarzes Micarta. Das sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch sehr robust und pflegeleicht und passt damit gut zum stabilisierten Holz. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit dem Griff.
Der Stahl ist der bewährte 14C28N in vier Millimeter Stärke, gehärtet auf ca. HRC 60. Aus meiner Sicht ist dieser Stahl ein nahezu idealer Stahl für ein Gebrauchsküchenmesser. Nicht zu teuer, gut wetzbar, ausgewogene Eigenschaften. Kein Superstahl, aber wirklich gut.
Durch die höhere Materialstärke, größere Länge und die schwereren Griffmaterialien ist das Messer dann doch merklich schwerer als seine Vorlage geworden. Wegen der ausgewogenen Gewichtsverteilung mit der stark getaperten Klinge fällt das bei der Handhabung nicht negativ auf. Im direkten Vergleich der beiden Messer hat man aber doch fühlbar mehr in der Hand und es ist einfach ein anderes Gefühl bei der Benutzung. Das eine Messer ist ein unauffälliges Werkzeug, das man einfach benutzt, ohne groß nachzudenken, eine Verlängerung der Hand. Das andere wirkt doch deutlich beeindruckender, hat mehr Zug zum Brett und vermittelt irgendwie „mehr Energie“. Schwer auszudrücken. Beide gut, aber anders.
Die Schneidfähigkeit der Klinge ist über jeden Zweifel erhaben. Ich bin immer wieder begeistert, wie leicht dieses in der Hand so robust wirkende Messer schneidet. Gegenüber der Vorlage muss ich feststellen: es wirkt robuster, vertrauenerweckender und hat einen noch besseren Food Release ohne Einbußen bei der Schneidfähigkeit. Von der Gesamtcharakteristik immer noch ein Allrounder und kein Workhorse, jedoch mit mehr Hubraum.
Fazit: Ein rundum gelungenes Allround-Messer. Ziel erreicht!
Epilog
„Und da er nun das perfekte Messer hatte, wurde seine Seele sanft und ruhig und er lebte fürderhin in Frieden.“ So war der Plan.
Kurz nach dem neuen Messer schwappte ein weiterer Prototyp aus dem Keller in die Küche. Diesmal hatte Simon eine neue Griffbefestigungstechnik ausprobiert. Bei der Griffmontage hatte das Holz zwei Risse gebildet, so klein, man muss sie kennen, um sie zu sehen. Keine funktionale Einschränkung, aber nichts mehr zum Verkaufen. Da ein kleines Kochmesser um 20cm derzeit in unserer Küche fehlte, baute Simon das Messer dennoch fertig und es landete im eigenen Block.
Nun stellte ich (erneut) fest, dass so eine kleine, leichte Klinge ja für das schnelle Aufschneiden einer einzelnen Birne oder eines Apfels zum morgendlichen Müsli schon merklich handlicher ist als ein 25-cm-Bolide. Auch eine einzelne Schalotte oder zwei Knoblauchzehen lassen sich hervorragend damit verarbeiten. Für solche Arbeiten braucht es keine lange Klinge mit hoher Spitze, Wiegeschnitt ist da eh nicht angesagt.
Und so teilt sich dieser Prototyp plötzlich die Brettzeit mit dem Wunsch-Custom, das für größere Mengen und größeres Schnittgut natürlich viel besser ist.
Ironie dabei: Das kleine Messer ist aus 1.2510, also nicht rostfrei, und hat einen Griff aus schlichtem unstabilisiertem Pflaumenholz.
Nachtrag
Simon experimentiert gerade mit dem Schliff von Hohlkehlen. Einige Klingenprototypen sind sehr gelungen. Vielleicht wird ja aus einem ein Messer für meinen Block ….
Hat denn das nie ein Ende? 😉
Viele Grüße
Severus