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Post by derjaeger on Sept 10, 2019 19:58:53 GMT
Achtung, das ist echt nerdig. Als ich ein altes französisches Kochmesser mit 360 Gramm und 30cm Klingenlänge in die Hände genommen habe, ist mir aufgefallen, dass das Messer unglaublich führig ist und sich sehr leicht für die Größe anfühlt. (Habe das Messer kurz im Altmetall Thread vorgestellt.) Ich war wirklich verblüfft über das Gefühl, das mir das Messer vemittelt hat. Ich meine nun, die Ursache gefunden zu haben: Die Klinge ist stark getapert, ebenso der Flacherl. Zudem hat das Messer ein massives Bolster und einen ebenso massiven Kropf. Das heißt für die Massenverteilung, dass sich viel Masse im Bereich des Schwerpunkts des Messers konzentriert und dass relativ wenig Masse im Bereich der "Enden" des Messers vorhanden ist. Wenn man das Messer im Pinchgrip führt, befindet sich der Schwerpunkt des Messers im umgriffenen Bereich. Man kann sich nun eine (bzw zwei zueinander senkrecht stehende) Drehachsen im Schwerpunkt denken, viele Bewegungen, die man mit dem Messer ausführt, lassen sich als Kombination von translatorischen Bewegungen und Rotationen um die imaginären Drehachsen im Schwerpunkt annähren. Die "Leichtigkeit" der besagten Rotationsbewegungen hängt vom Trägheitsmoment des Messers ab, je geringer das Trägheitsmoment (also je mehr der Messermasse im Bereich des Schwerpunkts konzentriert ist vereinfacht gesagt), desto geringer die Trägheit des Messers gegenüber Änderungen der Winkelgeschwindigkeits bei Drehungen um die Achsen im Schwerpunkt. Auf was ich hinausmöchte: Fürs Handling ist nicht nur die Lage des Schwerpunkts, sondern auch die Massenverteilung des Messers von herausragender Bedeutung. Ist mir gerade in den Sinn kommen, es kann auch sein, dass ich da gerade common knowledge breittrete, mur wurde die Sachlage aber eben erst jetzt durch das alte französische Messer bewusst. Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht, oder ist das ein Hirnschiss? Gruß, Jäger
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Post by BastlWastl on Sept 10, 2019 20:03:35 GMT
Nerd! Nein im Ernst ein sehr gute Beobachtung!
Grüße Wastl.
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Post by derjaeger on Sept 10, 2019 21:01:39 GMT
Und der Grund, warum die Kenngröße Trägheitsmoment kein gängiges Bewertungskriterium in Reviews ist, ist der, dass man das Trägheitsmoment nicht mit einfachen Mitteln messen kann. Berechnen ist aufgrund der verschiedenen Materialien (Dichteverteilung nicht bekannt) und der komplexen Geometrie eines Messers mit vertretbarem Aufwand auch nicht möglich. Somit wird diese Kenngröße nie genau quantifiziert, sondern fließt wenn überhaupt als subjektiver Eindruck in Bewertungen auf. Ich glaube, wenn man mal ein paar Trägheitsmomente von Messern messen würde, würden die Messwerte sehr stark mit den subjektiven Eindrücken der "Führigkeit" korrelieren. Gruß, Jäger
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Post by kwie on Sept 10, 2019 21:15:01 GMT
Hallo,
Das rotatorische Massenträgheitsmoment spielt allerdings eine gewisse Rolle. Die drei Hauptträgheitsachsen sind die Hochachse, die Querachse und die Längsachse. Wir drehen ein Messer bim Schneiden vor allem um die Querachse. Wer keine schweren Messer, aber eine gewisse Chopping Power mag, der kann sich nach einem leichten langen Kochmesser umschauen. Bei dem schweren französischen Messer ist es dann wohl eher umgekehrt und es hat für das Gewicht und die Größe eher geringe Trägheitsmomente.
Den Begriff "führig" habe ich zwar schon ein paar mal gehört, kenne aber keine Definition oder Beschreibung, die mir helfen würde zu erahnen, was das sein soll. Da fehlt mir einfach jeder Sprachkonsens.
Gruß: KWie
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Post by simdreams on Sept 21, 2019 12:21:45 GMT
Ich probiere es mal, und zwar etwas schräg mit Analogie zum Hund.
"Leinenführigkeit" bezeichnet die Fähigkeit vom Hund, mit Hilfe der Leine Richtungsänderungen zu antizipieren, ohne nennenswerten Kraftaufwand durch den Halter. Also sozusagen schon auf die geringste Zugänderung (eine etwas weniger durchhängende Leine übt ja einen etwas seitlicher wirkenden Zug aus als eine stark durchhängend) mit einer großen Bewegung zu reagieren. Und natürlich die Fähigkeit, selbst keinen Zug (keine Kraft) auf die Leine auszuüben.
So würde ich auch ein gut führiges Messer beschreiben. Minimaler Kraftaufwand führt zu großen Bewegungen. Es folgt der Führung durch die Hand willig und unmittelbar. "Servogelenkt" quasi. Technisch also mit kaum einem vorhandenen Rotationsträgheitsmoment bzw. mit einer möglichst nahe dem Schwerpunkt konzentrierten Masse.
Hilft das, oder ist das lediglich eine Sammlung von Selbstverständlichkeiten?
Grüße, Uwe
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Post by flint on Sept 21, 2019 13:42:03 GMT
Servus,
ich liebe dieses Forum und finde das Thema genial.
Gruß, flint
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Post by suntravel on Sept 21, 2019 18:32:51 GMT
Ich probiere es mal, und zwar etwas schräg mit Analogie zum Hund. "Leinenführigkeit" bezeichnet die Fähigkeit vom Hund, mit Hilfe der Leine Richtungsänderungen zu antizipieren, ohne nennenswerten Kraftaufwand durch den Halter. Also sozusagen schon auf die geringste Zugänderung (eine etwas weniger durchhängende Leine übt ja einen etwas seitlicher wirkenden Zug aus als eine stark durchhängend) mit einer großen Bewegung zu reagieren. Und natürlich die Fähigkeit, selbst keinen Zug (keine Kraft) auf die Leine auszuüben. So würde ich auch ein gut führiges Messer beschreiben. Minimaler Kraftaufwand führt zu großen Bewegungen. Es folgt der Führung durch die Hand willig und unmittelbar. "Servogelenkt" quasi. Technisch also mit kaum einem vorhandenen Rotationsträgheitsmoment bzw. mit einer möglichst nahe dem Schwerpunkt konzentrierten Masse. Hilft das, oder ist das lediglich eine Sammlung von Selbstverständlichkeiten? Grüße, Uwe Jup das passt, ist aus meiner Sicht aber mehr nen Benefit für Kampfmesser Also ich brauche ne deutliche Richtungsänderung in Sekundenbruchteilen eher weniger in der Küche.... Gruß Uwe
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Post by 213 on Sept 21, 2019 18:53:08 GMT
Schönes "Extrem" Beispiel für ein grifflastiges Messer: kochmalscharf.freeforums.net/thread/4716/kups-marlin-jannis-xerxes-scholzIch kann da allerdings mit dem "zentralen schwerpunkt = führig" nicht mitgehen. Für mich, gefühlt ganz klar umso mehr gewicht richtung Klinge, desto führiger das ganze. Ich bin von allem mit Kropf und erst recht dann grifflastig weg. Schwerpunkt für ein führiges Messer, egal welcher Länge minimum 2 cm aufwärts in der Klinge in richtung Spitze. Ist aber alles am Ende Gewöhnugssache imho. Alles gefühl, keine Theorie, geschweige denn belegebar oder argumentierbar von meiner Seite.
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Post by Queequeg on Sept 22, 2019 5:47:08 GMT
(...) Auf was ich hinausmöchte: Fürs Handling ist nicht nur die Lage des Schwerpunkts, sondern auch die Massenverteilung des Messers von herausragender Bedeutung. (...) Gruß, Jäger Ich habe mir eben nach den letzten Beiträgen noch mal den Fred und den ersten Post durchgelesen und dann bin ich hier rüber gestolpert. Natürlich bestimmt die Masse-Verteilung immer dem Schwerpunkt. Und wenn dieser nun, wie beobachtet, im Bereich der greifenden Hand liegt, erscheint das Messer "leicht und wendig" Ich gehe aber soweit, dass Profi-Schippler für Wiegeschnitt eher auf ein langes, klingenlastiges Messer wechseln wird, dort das hibbelige ggf. nicht gebraucht wird und das leichte Heck sich besser bewegen lässt. - Auch nur eine Vermutung. Da ich selbst keine Schneidetechnik richtig beherrsche, sind mir führige Messer lieber. 213 vll. verstehst du unter "führig" genau was ich zum Wiegeschnitt geschrieben habe? Jedenfalls ist ein Schwerpunkt 2cm in der Klinge sehr wendig im Pinch-Grip, für deine Vorliebe muss der Schwerpunkt davor liegen. Und natürlich sind die Kamons meist extremer, einfach weil viel Metall hinten am Griff ist.
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Post by simdreams on Sept 22, 2019 8:42:34 GMT
Edit: Ich darf beim Ändern nicht den Zitatknopf drücken.
Hi, ich glaube, dass die meisten das anders empfinden würden. Stell dir als Modell bitte einen 8er (Ruderboot) vor. Im ersten Fall sitzen die beiden Ruderer in der Mitte, im zweiten vorne und hinten. Obwohl der Schwerpunkt jeweils gleich ist, wäre das Boot im ersten Fall deutlich "führiger" (auch wenn in diesem Modell auch andere, bzw. weitere Gründe gibt). Theoretischer, aber genauer wäre ein Rundstab, dessen Masse entweder in der Mitte oder in den Enden konzentriert wäre. Auch hier ist der Schwerpunkt gleich. Fasse ich ihn in der Mitte, wäre der Kraftaufwand, den ich brauche, um den Stab wie ein Funkenmariechen quer in Rotation zu versetzen oder wieder zu stoppen, aber sehr deutlich unterschiedlich. Zu 213 oben: ich würde ein sehr kopflastiges Messer nicht als gut führig bezeichnen, dennoch kann es natürlich sehr leicht laufen und ergonomisch sein. Die unterschiedliche Masseverteilung bei gleichem Schwerpunkt kommt nur bei Rotation zum Tragen, deshalb hat Uwe schon Recht - bei Küchenmessern gibt es wahrscheinlich Kenngrößen, die in der Praxis wichtiger sind. Grüße, Uwe
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Post by kwie on Sept 23, 2019 22:29:00 GMT
Aloha!
Dann habe ich das jetzt (Sprachtheoretisch) verstanden und komme zum Schluss: Führig ist ein Messer, das bezogen auf das Gewicht ein möglichst geringes Trägheitsmoment vor allem um die Querachse hat. Das ist bei einer Massenkonzentration im Bereich des Schwerpunktes der Fall, also ausgeprägt bei einem ordentlichen Distal Taper (Verjüngung der Klinge nach vorn hin) mit einem leichten Griff.
Man lernt ja nie aus.
Gruß: KWie
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Post by Queequeg on Sept 24, 2019 5:26:01 GMT
kwie das ist ja nur das Tragheitsmoment. es kommt jetzt noch die Klingenform, der Winkel Rücken/Schneide, die Form und Dicke des Griffs und das Material der Klinge (Spaß) dazu. simdreams meinst du mich mit "stell dir vor"? Weil ich beschreibe ja das gleiche wie du.
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Post by simdreams on Sept 24, 2019 8:16:39 GMT
Queequeg Moin, nee, ich bezog mich auf 231 bzw. "Ich kann da allerdings mit dem "zentralen schwerpunkt = führig" nicht mitgehen. Für mich, gefühlt ganz klar umso mehr gewicht richtung Klinge, desto führiger das ganze."
Wobei man das für den Wiegeschnitt tatsächlich nochmal getrennt betrachten könnte. Da dort die Rotation nicht um die Hand, sondern um den Auflagepunkt stattfindet, würde ein sehr kopflastiges Messer weniger Kraftaufwand erfordern, als eins mit mittigem Schwerpunkt. Grüße, Uwe
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Post by heutehier on Jun 19, 2022 13:07:35 GMT
Wie schwer kann/darf denn ein klassisches Kochmesser werden, um noch als "führig" durchzugehen? Der Trend ist ja schon eine Weile weg von leichtem, dünnen Blech. Aber auf der anderen Seite des Spektrums, was gibt es da für Beispiele, denen man ihr Gewicht nicht anmerkt? Grüße
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Post by BastlWastl on Jun 19, 2022 17:19:38 GMT
Wie schwer kann/darf denn ein klassisches Kochmesser werden, um noch als "führig" durchzugehen? Der Trend ist ja schon eine Weile weg von leichtem, dünnen Blech. Aber auf der anderen Seite des Spektrums, was gibt es da für Beispiele, denen man ihr Gewicht nicht anmerkt? Grüße Für mich 10g/cm. Grüße Wastl.
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