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Post by heutehier on Oct 7, 2021 14:44:13 GMT
Liebes Forum, ich habe eine ganz banale Frage: Was ist der Grat? Ich möchte das einfach noch besser verstehen. Ist es der Metallabrieb, der beim Schleifen entsteht? ..Aber den sieht man ja als graue Schleier und Schlamm auf den Steinen. Warum biegt sich da etwas nach oben, weg von der Schleifoberfläche? Warum zerbröselt das nicht zu Staub und löst sich im slurry auf? Entsteht durch das Schleifen „Wärme“, die das Metall plastisch verformt und nach oben biegt? Kann mir das jemand erklären? Wie gesagt, ich möchte besser verstehen, was da passiert. Viele Grüße!!
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Post by peters on Oct 7, 2021 15:10:50 GMT
Servus, vorweg: ich bin keine Maschinenbauer (die können das noch genauer erklären). Also: beim Schleifen fängt das Metall in einer dünnen Grenzschicht an zu fließen. Ein Teil dieses Materials wird abgerissen und endet als Schleifstaub. Das ist der erwünschte Effekt. Ein anderer Teil bleibt aber an dem Werkstück (lies: Messer) hängen. So zieht man beim Schleifen Material mit, was dann dazu führt, dass ein dünner Metallstreifen über die eigentliche Schneide weggezogen wird. Wenn man extrem Material wegnimmt, ist das schon makroskopisch gut sichtbar (z.B. hier). Ein Grat bildet sich aber immer, auch wenn man ganz vorsichtig mit einem feinen Stein schleift. Es gibt eindrucksvolle Aufnahmen mit einem Elektronen-Mikroskop (btw: wir brauchen unbedingt unsere KMS Electron Microscope Facility), z.B. hier: scienceofsharp.com/2015/01/11/what-is-a-burr/. HTH & VG Peter
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Post by heutehier on Oct 7, 2021 15:21:28 GMT
peters Danke, das ist schonmal gut. Aber passiert das wegen der Reibungshitze, die da entsteht? Und warum endet ein Teil als "Staub" und ein Teil als zusammenhängende "Masse", die sich verbiegt und hängenbleibt? Warum kann man das dann nicht mit den Fingern abbröseln?
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Post by peters on Oct 7, 2021 15:29:46 GMT
Nein, es gibt keinen Unterschied zwischen Staub und größeren Partikeln. Ich kann vielleicht zur Erklärung noch hinzufügen, daß es abhängig vom Anpressdruck des Schleifkorns zu verschiedenen Effekten kommt. Wenn der Druck sehr niedrig ist, rutscht das Schleifkorn (oder eine metallische Schneide, das ist jetzt immer als gleichwertig vorausgesetzt) einfach über die Oberfläche des Schnittguts (also des Stahls des Messers). Wenn der Druck einen gewissen Grenzwert überschreitet, schneidet das Korn in den Stahl - der Stahl bekommt Kratzer. Es wird aber noch kein Material abgetragen. Erst wenn der Anpressdruck des Schleifmittels noch weiter steigt, wird soviel Kraft in den Stahl des Messers eingebracht, dass der Stahl anfängt zu fliessen. Vereinfacht ausgedrückt verhakt sich das Schleifkorn im Stahl und zieht diesen lokal mit sich. Irgendwo im Untergrund reißt der Stahl dann. Der abgerissene Teil endet als Abreib/Schleifstaub. Und der am Messer haftende Teil, der vom Fließen erfasst wurde, endet als Grat.
Ist das jetzt besser verständlich?
VG Peter
PS: je nachdem, welche Eigenschaften ein Stahl bezüglich des Fliessens und Abreissens hat, gibt es Stähle, die viel oder weniger Grat bilden. Und welche die sich leichter oder schwerer schleifen lassen.
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Post by schlangenadler on Oct 7, 2021 16:37:48 GMT
Servus,
mal ein ganz einfacher Versuch es zu erklären.
Wenn ein Messer in einem Schraubstock gespannt wird und dann gebogen wird. Dann funktioniert dies bis zu einem gewissen Bereich. Das Messer biegt sich wieder von selbst in seine Ursprungsform zurück. Das Messer wird elastisch belastet. Die Moleküle verschieben sich, gehen aber wieder in ihre Ausgangslage zurück. Wie eine Feder. Wird das Messer weiter gebogen, kommen wir in den plastischen Bereich. Das Messer bleibt verbogen. Die Moleküle verschieben sich dauerhaft, sind aber noch miteinander verbunden. Wie Peter schon schrieb, der stahl fliesst. Wird das Messer jetzt noch weiter gebogen, dann bricht das Messer. Die Moleküle trennen sich jetzt.
Meiner Meinung entstehen diese 3 Stadien auch beim schleifen. Bevor ein schleifkorn also etwas trennen kann, entsteht eine plastische Verformung. Diese plastische Verformung bleibt als Grat zurück und kann nicht verhindert werden. Er kann nur reduziert werden. Bei gummi-artigen Stählen entsteht dann noch zusätzlich das Problem der elastischen Verformung. Der Grat biegt sich einfach weg und kann vom schleifkorn nicht mehr erfasst werden. Ein großer Foliengrat ist dann die Folge.
Gruß Andi
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Post by andreas123 on Oct 7, 2021 17:15:31 GMT
Moin,
ein Grat ist ja immer die Spitze des geschliffenen/geschärften Mediums. Zumindest dann, wenn wir vom Schärfen/Schleifen sprechen/schreiben.
Da wird das teilweise gezeigt und erklärt. Kurz: Der Grat ist das letzte Ende der Schneidenkante, der entsteht, wenn Du beim Schärfen/Schleifen am Materialende angekommen bist. Dann bleiben sehr dünne Metallreste übrig, die meist nicht mehr vom Schärfmedium erreicht werden und bleiben halt stehen oder biegen sich um.
Aasklaa?
LG Andreas
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Post by heutehier on Oct 7, 2021 18:15:09 GMT
Ja, kannˋs mir vorstellen!👍
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Post by peters on Oct 7, 2021 19:24:13 GMT
Lieber andreas123 , beim Durchlesen deiner Antwort ist mir schlagartig klar geworden, dass ich wohl eher die Frage nach den molekularen Grundlagen der Gratbildung zu beantworten versucht habe. :-) Da kann der Naturwissenschaftler halt doch nicht aus seiner Haut heraus. In der Sache glaube ich aber trotzdem, dass nicht das Verbiegen der vordersten Schneidenkante den Grat erzeugt (obwohl ein Verbiegen des Stahls ja auch schon ohne fließendes Material nicht stattfinden kann), sondern dass wirklich in erster Linie das Fließen des Stahls im Bereich der Schleiffläche für den Grat verantwortlich ist. Viele von uns haben schon mit eigenen Augen gesehen, wie ein Grat beim Wachsen wellig wird. An meinem Yanagiba kann man das eigentlich sehr schön sehen. Der Grat wirft umso mehr Rüschen, je weiter er sich entwickeln kann. Das geht nur, wenn er am äußersten Ende länger ist als am Übergang zum stehenden Material. Ich schließe daraus, dass der Grat in erste Linie durch das Fließen über die ursprüngliche Wate hinaus entsteht und nicht durch das Umbiegen der extrem dünnen Wate. Das ist zumindest meine derzeitige Theorie. Ich lasse mich da gerne eines besseren belehren. In der Praxis machen die Details des Mechanismus, der zur Gratbildung führt, aber wohl eher keinen Unterschied. Trotzdem: Ich will's halt genau wissen. :-) VG Peter
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Post by peters on Oct 7, 2021 19:56:53 GMT
Aber passiert das wegen der Reibungshitze, die da entsteht? Nein, bei der Geschwindigkeit, mit der ich schleifen kann, wird da nicht soviel Leistung umgesetzt, dass es eine nennenswerte thermische Belastung geben könnte. Kann sein, dass das bei Leuten, die im Hintergung Jinjer oder sowas in der Richtung hören, anders aussieht. Bei mir selbst bin ich mir sicher: nein, da brennt nix an. Wir habe hier Versuche von prominenten Forumsmitgliedern, ja sogar aus dem Moderatoren-Team, gesehen, die sich ernsthaft bemüht haben, subkutan zu entgraten. Ich erinnere mich an einen Fall, als dazu die Epidermis unter einem Fingernagel benutzt werden sollte. Über den Erfolg des ganzen kann ich keine Auskunft geben. Aber ich bewundere den persönlichen Einsatz, mit dem diese Versuche hier im Namen der Wissenschaft durchgeführt werden. Gell, andreas123 . VG Peter
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Post by andreas123 on Oct 9, 2021 6:39:51 GMT
Soll ichs nochmal zeigen?
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Post by peters on Oct 9, 2021 7:12:26 GMT
Bitte nicht! Tut schon weh, wenn ich nur dran denke. Aua.
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